24. Evelyn Underhill

Evelyn Underhill – Mystikerin der Moderne

„Wenn Gott so klein wäre, um verstanden zu werden, wäre er nicht mehr groß genug, um verehrt zu werden“ sagt eine Frau, die sich als Christin mit zahlreichen Schriften über verschiedene Bereiche des Glaubens hohe Anerkennung erwirbt.

Verinnerlichung und Entfaltung ihres Glaubens beansprucht jedoch eine gewisse Zeit. 1875 in Wolverhampton, im Zentralwesten Englands, von der Ehefrau eines vermögenden Anwalts und Bankers geboren, erlangt Evelyn ihre Bildung und Erziehung hauptsächlich durch häuslichen Privatunterricht. Später besucht sie das angesehene King’s College für Frauen in London.

Kindheit und Jugendzeit sind unbeschwert. Einen Großteil davon verbringt sie zusammen mit ihren Eltern beim Segeln. Dieses Hobby setzt sie mit ihrem Ehemann, einem Anwalt, den sie seit ihrer Kindheit kennt, fort. Parallel dazu reist sie im Frühjahr nach Frankreich oder Italien, um dort die von ihr geliebten kulturellen Schätze kennenzulernen.

Über ihren religiös sensiblen Ehemann gelangt sie zum christlichen Glauben. Durch ihre Italienaufenthalte fühlt sich Evelyn Underhill zur Röm.-Kath. Kirche besonders hingezogen. Sie ist fasziniert von der Lektüre katholischer Mystikerinnen und Mystiker, deren Schriftgut sie zu gern ins Englische übersetzt.

Ihre Nähe zur Röm.-Kath. Kirche nimmt jedoch ab, nachdem Papst Pius X. (1903-14) ein Apostolisches Schreiben veröffentlicht, welches alle fortschrittlichen Strömungen dieser Zeit verurteilt. Mit diesem Dokument, bekannt als ‚Antimodernisteneid‘ (1910), sieht die akademisch gebildete Frau sich ihrer intellektuellen Fähigkeiten beschnitten. In ihrer Ehre gekränkt, wendet sie sich mehr und mehr Anglikanischen Kirche zu.

Ihr Leben erfährt einen strukturierten Tagesrhythmus. „Um unserem HERRN einen perfekten Dienst zu bieten, müssen sich Martha und Maria (vgl. Lk 10,38-43) vereinen“, so ihre geistliche Vorstellung. Evelyn widmet daher vormittags dem Schreiben religiöser Literatur, die Nachmittage gelten, um ihnen beizustehen, vornehmlich dem Aufsuchen Hilfsbedürftiger.

In den frühen Jahren ist ihre Literatur zunächst stark wissenschaftlich geprägt. Mit fortschreitenden Jahren schreibt sie viel über das alltägliche geistliche Leben. Dieses kann, so ihre Behauptung, von allen Menschen gelebt werden: „Das spirituelle Leben ist kein besonderes Tätigkeitsfeld, denn es beinhaltet keine Loslösung von der Welt – im Gegenteil!“

Während des Ersten Weltkriegs (1914-18) arbeitet Evelyn Underhill bei der englischen Admiralität. Ihre Welt, so wird sie feststellen, ist das nicht. Ihre Ansichten ändern sich, die Mystikerin wandelt sich zu einer überzeugten christlichen Pazifistin. Man kann die aktuellen menschenverachtenden Übergriffe des russischen Militärs gegen die Ukraine vor Augen halten, wenn Evelyn Underhill bereits vor fast 100 Jahren festhält: „Keine Nation ist wirklich besiegt, die ihre eigene geistige Selbstbeherrschung bewahrt. Und keine Nation ist wirklich siegreich, die nicht mit unbeschadeter Seele aus allem hervorgeht.“

Mehrere Jahre arbeitet Evelyn Underhill als Dozentin für Theologie an der Universität Aberdeen. Für ihre wissenschaftlichen Leistungen wird sie mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Sie ist die erste Frau, die vor dem Klerus der Anglikanischen Kirche Vorträge hält, und sie ist die erste Frau, die mit offiziellem Auftrag geistliche Exerzitien für Kirchenangehörige halten darf.

Evelyn Underhill, so die Meinung vieler Zeitgenossen, ist ausgestattet mit theologischem Scharfsinn, aber ebenso mit ausgeprägtem Sinn für feinen Humor. Im Umgang mit Menschen, vor allem mit Schülerinnen und Schülern, ist sie eher zurückhaltend und schüchtern. Es widerstrebt ihr, wie sie selbst äußert, „Seelen zu erniedrigen.“ Ihre Liebe zu den Seelen, gepaart mit der Entschlossenheit, diese aufzurichten und zu stärken, bringt ihr zahlreiches Vertrauen und herzliche Zuneigung entgegen.

Evelyn Underhill stirbt in London im Alter von 65 Jahren am 15. Juni 1941. Dieser Tag trägt ihren Namen im Heiligenkalender der Anglikanischen Kirche. Auch durch ikonographische Darstellungen findet die Mystikerin der Moderne bis heute große Verehrung.

Bild: Fotographie von Evelyn Underhill

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