Predigt: Joh 1,1-18 – Hey! Euch ist ein Kind geboren!
Weihnachten – Lesejahr C
gehalten: Mi., 25. Dez. 2024
Abtei Heilig Kreuz, Kloster Herstelle
Liebe Schwestern und Brüder!
Weihnachten ist die Zeit von Weihnachtsgeschichten, davon gibt es endlos viele. Wenn Sie mich fragen, welche ich davon noch heute zum wiederholten Mal lesen könnte, dann ist es: „Hilfe, die Herdmanns kommen!“. Dieses witzige Kinderbuch ist bereits über 50 Jahre alt, geschrieben von der amerikanischen Schriftstellerin Barbara Robinson (+2013). Ich mag diese Weihnachtsgeschichte auch deswegen, weil sie kirchliches Leben wiedergibt und sich viel am Biblischen orientiert.
Die Herdmanns-Kinder, so sagt man, seien die schlimmsten Kinder aller Zeiten. Sechs an der Zahl: sie logen, klauten, verprügelten auch schon mal andere Kinder. Ausgerechnet diese Bande, von Weihnachten gar keine Ahnung, steht bereit, zusammen mit anderen Kindern an Heiligabend in der Kirchengemeinde das Krippenspiel aufzuführen. Immerhin hatten die Herdmanns-Kinder verstanden, dass Jesus nicht als großer König zu den Menschen kommt, sondern als kleines schutzloses Kind.
Hedwig, eine von den sechs, hat nun während des Krippenspiels ihren großen Auftritt. Sie gehört zum Chor der Engel und war die Einzige, die was zu sagen hatte. Ihren Auftritt nahm sie jedoch bewusst wahr. Hinter dem Engelchor kommt sie hervor, schubst andere noch zur Seite und schreit in die Runde: „He! Euch ist ein Kind geboren!“ Sie tut es so, als sei es die wichtigste Botschaft der
Welt.
Eigentlich, so denke ich, hätten wir alle laut zu rufen: „Hey! Euch ist ein Kind geboren!“
Das heutige Johannesevangelium ist dagegen wie ein Kontrast. Es verwendet eine ganz andere Sprache. Sogar das Stichwort „Kind“ kommt überhaupt nicht vor. Anstelle „Hey! Euch ist ein Kind geboren!“ wird dafür die Bezeichnung „Wort“ verwendet: „Das Wort ist Fleisch geworden“ (1,14). „Wort“ ist wiederum eine Übersetzung des griechischen Wortes „Logos“, was noch weit mehr bezeichnen kann als „Wort“. „Logos“ kann in unserer Sprache auch wiedergeben als „Urprinzip des Lebens“, als „Leben“ schlechthin.
Wenn zusätzlich vom „Licht“ die Rede ist, dann ist damit das „Ur-Licht“ gemeint, welches Gott selber ist. Aus ihm geht hervor der Sohn Gottes, das „Leben“. Dieses „Urprinzip des Lebens“ kommt in sein „Eigentum“. „Eigentum“ wiederum meint seine Schöpfung. Die hl. Schrift weiß, dass durch ihn, also durch Christus, und auf ihn hin, also auf Christus, alles geschaffen ist, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Ich persönlich sage sehr gern: Der Sohn Gottes kommt in seine von ihm geschaffene Welt der Gene und Moleküle ebenso hinein, wie in seine von ihm geschaffene Welt der Empfindungen, der Zärtlichkeit und der Gefühle.
So etwas hat es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben. Der Schrei der kleinen Hedwig ist mehr als angemessen: „Hey! Euch ist ein Kind geboren!“
Also wacht auf!!! „Das Ereignis von Weihnachten ist kein Märchen, auch kein Weihnachtsmärchen, keine sagenhafte Erzählung. Es ist Wirklichkeit, ist wirklich geschehen. Jesus ist eine streng geschichtliche Gestalt, historisch nachweisbar. Ja, man hat den Kalender sogar danach gestellt: 2024 – Anno Domini – im Jahre des HERRN.
Bewusst werden an Weihnachten viele Anliegen in den Blick genommen. So wie Sie im fürbittenden Gebet, liebe Schwesterngemeinschaft, an die Einsamen unserer Tage denken, so fällt auch ich in meiner Krankenhausseelsorge das Phänomen der Einsamkeit auf, die gefühlte Leere, niemanden zu haben, nicht besucht zu werden, nicht einmal vermisst zu werden.
Das Beste wäre, Einsamkeit baldmöglichst zu beseitigen. Doch dazu wäre ein neues Netzwerk an Beziehungen aufzubauen. Dankenswerterweise werden diesbezüglich eine Reihe von Ehrenamtlichen aktiv.
In diesen Tagen bekam zu hören von einem nachahmenswerten Modell aus Schweden, einer Ortschaft auf der Höhe des Polarkreises. Der Winter ist dort besonders kalt und die Nächte besonders lang. Gegen das Gefühl der Einsamkeit ließ sich der Stadtrat etwas Außergewöhnliches einfallen, und zwar mit der Aktion: Sag „Hey“! Beispiel: Sag „Hey“, wenn dir jemand im Treppenhaus begegnet; Sag „Hey“, wenn du dich an die Schlange im Supermarkt anschließt; Sag „Hey“, wenn man als Fahrgast ins öffentliche Verkehrsmittel steigt – usw.
Dieses kleine „Hey“, so die positive Erfahrung, lässt tatsächlich aufhorchen, es überwindet Sprachlosigkeit, und kann der Einsamkeit so ein Stück begegnen.
Beim Hören dieser schönen Aktion fielen mir die Worte Jesu ein: „Wenn ihr nur die grüßt, die euch grüßen, was habt ihr davon (vgl. Mt 5,47)?“
Während besinnlicher Tage zur Vorbereitung auf Weihnachten sagten Anwesende: „Mit dem kleinen Kind von Bethlehem schickt uns der göttliche Vater einen lieben Gruß vom Himmel, ein Gruß der Liebe, der Nähe, damit Menschen sich nicht mehr einsam fühlen.
Jesus wird diese himmlischen Grüße fortsetzen: „Ich habe euch alles gesagt, wird Jesus den Seinen mitteilen, was ich von meinem Vater gehört habe. Darum nenne ich euch nicht meine Knechte, sondern meine Freunde“ (Joh 15,15). Tut, was ich euch auftrage.
Ja, wir gehören einem außergewöhnlichen Freundeskreis an, wir sind Freunde Jesu. Dieses mitzuteilen und andere dazu einzuladen, wäre unsere Aufgabe.
Inzwischen gibt es kaum ein Land auf der Welt, wo Weihnachten nicht bekannt ist. Das heißt noch lange nicht, dass alle wissen, was das eigentliche Geheimnis von Weihnachten ist. Wie die kleine Hedwig müssten eigentlich alle laut rufen: „Hey! Euch ist ein Kind geboren!“
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