Predigtthema: Mariä Himmelfahrt
Bibelstelle: Lk 1,39-56
Datum: 15. August 2025
Kirche: Abteikirche Heilig Kreuz, Herstelle
Liebe Schwestern und Brüder!
„Ich sehe dich in tausend Bildern, Maria, lieblich ausgedrückt, doch keins von allen kann dich schildern, wie meine Seele dich erblickt.“ Gewiss kennen einige von Ihnen diesen Vers, er stammt aus der Zeit der Frühromantik 18./19. Jahrhundert. Der Dichter wurde nicht einmal 30 Jahre alt: Freiherr von Hardenberg (1772–1801), besser bekannt unter seinem Pseudonym Novalis. Er schrieb diese Verse beim Anblick der Sixtinischen Madonna in Dresden.
Der Dichter bestaunt die majestätische Anmut, die von Maria ausgeht. Kraftvoll, beherzt, wie aus der Ewigkeit kommend, umgeben von unzähligen Engelgesichtern, trägt sie ihren Sohn, den Erlöser, in die Welt. Der Anblick dieses Bildes muss auf den überaus sensiblen jungen Mann einen außerordentlichen Eindruck gemacht haben.
Unterschiedliche Bilder von Maria steigen auch in uns auf. Prägend sind dabei auch Mariendarstellungen ohne Kind, Maria als Verherrlichte, Maria als Assumpta, Maria als die in Himmel aufgenommene. Eine leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel wird dabei stets vorausgesetzt. Denn wie Christus leibhaftig aufersteht, so ist es auch mit der Aufnahme Mariens in den Himmel: sie geschieht leibhaftig.
„In der Vorstellung des Christentums“, so der große Theologe Karl Rahner (1904-84) hat der Mensch nicht nur einen Leib, sondern der Mensch ist Leib, auch in der Ewigkeit. Vorstellungen anderer Religionen wie Seelenwanderungen oder Verflüchtigungen der Seele sind dem Christentum fremd. Der große Theologe des 20. Jh. bestätigt damit Gedanken des frühen Theologen Tertullian aus dem 2./3. Jahrhundert, wenn er schreibt: „Nicht nur die Seele, sondern auch Fleisch und Blut haben durch die Auferstehung Jesu von nun an einen himmlischen Ort in Gott.“
Obwohl Christen schon immer daran glaubten, und Bilder es über Jahrhunderte hergaben, die Lehre von der „Leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel“ wurde erst im Jahr 1950 durch Papst Pius XII. offiziell verkündet. Die Menschen dieser Zeit waren gezeichnet von den bitteren Erfahrungen des verheerenden Weltkrieges. Die Gläubigen empfanden dieses Dogma als frohe Botschaft und somit als geistvolle Antwort der Kirche auf die Zeit menschenverachtender Schreckensherrschaft. Nach allen furchtbaren Grausamkeiten setzt der christliche Glaube ein unübersehbares Zeichen für die leibliche und seelische Würde des Menschen. Denn wer gibt, so könnten wir fragen, den unzähligen gedemütigten, vergewaltigten und vernichteten Menschen aller Epochen ihre Würde zurück? Der Menschheit allein wird es nie gelingen.
„Ein großes Zeichen erschien am Himmel“ (12,1), hören wir heute im Buch der Geheimen Offenbarung. Als dieses große Zeichen stellt der italienische Renaissancemaler Raffael die Gottesmutter Maria auf dem berühmten Bild der Sixtinischen Madonna in Dresden dar. Mit dem göttlichen Kind in ihrem Arm strahlt Marias Auftreten viel Erhabenheit aus. Dieses himmlische Zeichen ist ein bedeutsamer hoffnungsvoller Trost für das Glaubensleben der Menschen.
„Ich sehe dich in tausend Bildern.“ Dann denke ich auch an das schöne Marienbild hier im Eingangsbereich unserer Klosterkirche. In diesem ostkirchlichen Bild entdecken wir Maria in einer ganz anderen Weise, mehr als Schwester unseres Glaubens. Denn Maria möchte, dass auch wir teilhaben am Erlösungswerk ihres Sohnes. In den Tiefenschichten ihrer Seele weiß die Gottesmutter längst, wer ihr Sohn ist und was er für uns, ja für die gesamte Menschheit bedeutet. Das Bildnis Mariens hier in Herstelle gibt uns einen klugen Rat mit auf unseren Lebensweg. Diesen Rat kennen Sie alle: „Was er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Tun wir`s!
Foto: Wolfgang Guttmann