Elizabeth Cady Stanton (1815-1902): Kämpferin gegen die Unterordnung der Frau
Betroffenheit sowie Klagen über frauenfeindliche Verse der Bibel gibt es nicht erst in jüngerer Zeit. Wer kennt nicht die Worte aus dem Epheserbrief: „Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, so sollen sich auch die Frauen in allem den Männern unterordnen“ (5,24)?
Selbst wenn im weiteren Zusammenhang dieser neutestamentlichen Betrach-tung ausdrücklich von einer durch Christus außergewöhnlich geistlich tief geprägten Liebe die Rede ist und die Männer aufgefordert werden, „ihre Frauen so zu lieben, wie auch Christus seine Kirche liebt und sich für sie hingegeben hat“ (5,25), so kommt dennoch bei den meisten Hörerinnen beklemmendes Unbehagen auf. Denn wer fühlt sich denn in der Lage, diesem gedanklich weit entfernten Ideal tatsächlich gerecht zu werden? Die in diesem Zusammenhang erwähnte Aufforderung „Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib, denn wer seine Frau liebt, liebt sich selbst“ (5,28), kann kaum den zuvor entstandenen Verdruss auffangen. Mit diesen mehr als nachdenklich machenden Zeilen verbindet sich die Sorge, die Kirche tue viel zu wenig, um allem frauenfeindlichen Gedankengut gezielt nachzugehen und spürbar entgegenzuwirken.
Zu jenen Frauen, die bereits im 19. Jahrhundert gegen die Unterdrückung der Frau auch durch die Kirche angeht und protestiert, gehört Elizabeth Cady Stanton. In der von ihr (1898) herausgegebenen „Frauen-Bibel“ beanstandet sie eine Reihe von frauenfeindlichen Formulierungen. Bei reformfreudigen Christinnen und Christen kommt diese Lektüre natürlich gut an.
Wie radikal die 1815 in Johnstown im US-Bundesstaat New York geborene Elizabeth Cady ihren Protest gegen jegliche kirchliche Unterdrückung vertritt, zeigt sie während ihrer eigenen kirchlichen Hochzeitsfeier. 1840 heiratet sie den Journalisten und späteren Anwalt der Anti-Sklaverei-Bewegung David Stanton. Vom trauenden Geistlichen verlangt Elizabeth, während der kirchlichen Zeremonie auf das damals übliche Gehorsamsversprechen gegenüber dem Ehemann zu verzichten. Später äußert sie: „Ich weigerte mich hartnäckig, jemandem zu gehorchen, mit dem ich eine Beziehung unter Gleichen eingehen sollte.“ Aus dieser Ehe, die bis zum Schluss hält, gehen sieben Kinder hervor.
Während ihres Referates zum kfd-Thementag 2022 in Hamburg erwähnt Prof’in Agnes Wuckelt neben einer Reihe anderer couragierter Frauen bewusst auch Elizabeth Cady Stanton. Die stellvertr. kfd-Bundesvorsitzende weist auf die führende Rolle hin, die Elizabeth zusammen mit ihrer langjährigen Freundin Su-san B. Anthony als prägender Kopf der amerikanischen Frauenrechtsbewegung im 19. Jh. einnimmt. Als Freundinnen und Kampfgefährtinnen setzen sie sich über Jahrzehnte hinweg vehement und kompromisslos dafür ein, dass Frauen gewürdigt und hinsichtlich der Männerwelt absolut gleichrangig betrachtet werden.
Stantons radikale Kritik an der gesellschaftlichen Diskriminierung der Frau ist auch heute höchst aktuell. Der gegenwärtige Präsidentschaftswahlkampf beispielsweise verdeutlicht, wie eine Frau, die sich für das höchste Amt in den Vereinigten Staaten bewirbt, noch in unserem 21. Jh. dreist und ordinär attackiert wird, eben weil sie eine Frau ist.
Nachholbedarf hinsichtlich Gleichstellung gibt es natürlich weiterhin in unserer Kirche. Da geht es nicht allein um Bibelstellen wie die im Epheserbrief. Bereits in den 90-ziger Jahren wies die US-amerikanische Benediktinerin Ruth Fox OSB darauf hin, dass biblische Stellen in den Sonntagslesungen bewusst ausgelassen werden.
So kommt eine bedeutende Frau wie Debora, einzige Richterin während der Richterzeit Israels (etwa 1200 bis 1000 v. Chr.), in der liturgischen Verkündigung gar nicht vor. Deboras Lied, ältester Textbestand der Bibel und geprägt von lebendiger Ausdruckskraft, bleibt ausgeblendet. Erwähnt werden jedoch ihre drei männlichen Kollegen Gideon, Jotham und Jephtach. Wer in der Liturgie aus dem Buch der Richter hört, gewiss eine unruhige Zeit mit vielen Grausamkeiten und Gewalttaten, kennt demzufolge wohl Männer, nicht aber die heldenhafte Debora.
Und obwohl sie im Stammbaum Jesu (Mt 1,1-17) ausdrücklich Erwähnung finden, kommen die Lebensgeschichten der Frauen Tamar, Rahab, Rut und Batseba, die wesentlich zur Generationenfolge Jesu und ebenso zur Kultur Israels beigetragen haben, in den sonntäglichen Lesungen der Liturgie nie vor.
Dies sind nur wenige Beispiele, die sich vielfach ergänzen ließen bis hin zur erstaunlichen Feststellung, dass selbst das Magnifikat (Lk 1,46-55), der Lobpreis Marias, an keinem der Sonntage während der Lesejahre als Evangelium vorgetragen ist.
Warum haben Frauen so oft auf ihre eigenen Belange aufmerksam zu machen und müssen dafür sogar kämpfen? Elizabeth Cady Stantons Leben setzt neue Maßstäbe für ein erneuertes Bild der Frau innerhalb der Gesellschaft sowie für die Frau überhaupt. In einer etwa zehn Jahre vor ihrem Tod abgegebenen Erklärung, betont sie: „Die persönliche Verantwortung für das eigene individuelle Leben ist der stärkste Grund, warum man der Frau alle Gelegenheiten für höhere Bildung, für die volle Entwicklung ihrer Fähigkeiten, ihrer Geistes- und Körperkräfte gibt, und ihr die größte Freiheit des Denkens und Handelns zugesteht. … Als Einzelwesen muss sie auf sich selbst vertrauen können.“
In ihrem Haus in New York City stirbt Elizabeth Cady Stanton am 26. Oktober 1902 an Herzversagen. Beigesetzt ist sie im Woodlawn Friedhof in New York City neben jenem Mann, dem unterzuordnen sie sich im Eheversprechen weigerte, aber dem sie vor dem Traualter bis hin zum Tod ihre aufrichtige Treue und Liebe als Beziehung unter Gleichen gelobte: ihrem Ehemann David.
Bild: Elizabeth Cady Stanton, 1889 von Anna Elizabeth Klumpke.