23. Ellen Ammann

Ellen Ammann (1870-1932): Eine Schwedin erkennt in Bayern die Zeichen der Zeit

Warum kennen viele diese Frau nicht? Dabei kann ihr erstaunliches Lebenswerk gar nicht genug gewürdigt werden. Die Nationalsozialisten jedoch hätten ihren Namen am liebsten restlos ausgelöscht. Inzwischen gibt es in Bayern mehrere Einrichtungen sowie Straßen, die ihren Namen tragen. Zudem bringt der Landesverband des Katholischen Frauenbundes (KDFB) ins Gespräch, für Ellen Ammann in Rom eine Seligsprechung in die Wege zu leiten.

Als Ellen Aurora Sundström wird sie am 1. Juli 1870 in Stockholm geboren. Zusammen mit einer jüngeren Schwester wächst sie in einem gutbürgerlichen Elternhaus auf. Der Vater ist Vogelkundler (Ornithologe) und Journalist. Nach seinem Tod setzt die Mutter, die inzwischen zum katholischen Glauben konvertierte, dessen journalistische Tätigkeit fort. Ellen, obwohl protestantisch getauft, wird von ihrer Mutter katholisch erzogen. Ellen besucht eine französische Schule, die von katholischen Ordensschwestern geleitet wird. Mit 14 Jahren tritt die Tochter ebenfalls zur Katholischen Kirche über.

Während ihres Studiums der Physiotherapie lernt sie ihren späteren Ehemann, den Münchner Orthopäden Dr. Ottmar Ammann, kennen. 1890 wird in Stockholm geheiratet. Ohne Abschluss ihrer Ausbildung zieht sie mit ihrem Mann nach München. In den darauffolgenden Jahren schenkt Ellen Ammann sechs Kindern, fünf Söhnen und einer Tochter, das Leben. Neben Aufgaben einer Mutter und der Leitung der Hauswirtschaft ist sie zugleich in der Klinik ihres Ehemannes tätig.

Im Krankenhaus sowie in München überhaupt erlebt sie hautnah die existentiellen Nöte der Menschen. In der Hoffnung auf ein besseres Leben strömen mit Beginn der Industrialisierung Tausende vom Land in die Stadt. Die Einwohnerzahl Münchens steigt binnen zweier Jahrzehnte von etwa 230.000 (1880) auf nahezu 500.000 (1900). Die Bedingungen zum Leben sind katastrophal. Es fehlt an Wohnungen sowie Schutz, Beratung und Arbeit. Insbesondere Mädchen und junge Frauen sind vollkommen auf sich allein gestellt.

Um der Not entgegenzuwirken, ruft Ellen Ammann 1895 den „Marianischen Mädchenschutzverein“ (heute: Verband für „Katholische Sozialarbeit IN VIA) ins Leben. Zwei Jahre später wird aufgrund ihrer Initiative am Münchner Hauptbahnhof die erste Bahnhofsmission Deutschlands eröffnet. Ziel war es, den vom ländlichen Umfeld kommenden unerfahrenen Mädchen und jungen Frauen hilfreiche Angebote zur Stellensuche anzubieten. So sollten sie vor Ausbeutung und den Zugriffen des damals blühenden Frauenhandels bewahrt werden. Denn Zuhälter nutzten ihre Unerfahrenheit und lockten sie vom Gleis weg in die Prostitution.

Anfang des 20. Jh. ist Ellen Ammann an der Gründung des Münchner Zweigvereins des Katholischen Deutschen Frauenbundes beteiligt und gründet 1911 als Vorsitzende den bayerischen Landesverband des Katholischen Deutschen Frauenbundes – KDFB. Zusammenschlüsse von Frauen und für Frauen sind für Ellen Ammann unabdingbar. Sie stellt fest: „Nur wer die Zeichen der Zeit gar nicht versteht, wer die Zusammenhänge der wirtschaftlichen und sozialen Bewegung unserer Zeit gar nicht kennt, kann die Notwendigkeit einer katholischen Frauenorganisation leugnen.“

Gleichzeitig fördert Ellen Ammann eine Professionalisierung der Ausbildung für hauptberuflich und ehrenamtlich tätige Sozialarbeiterinnen. Ihre Überzeugung: „Soziale Arbeit darf nicht im Dilettantentum stecken bleiben, denn sie ist verantwortungsvolle Arbeit am Menschen, mehr wie jede andere.“

Das 1918 ausgerufenen Frauenwahlrecht in Bayern schafft Frauen die Möglichkeit, sich nun selber zur Wahl zu stellen. Ellen Ammann wird im Januar 1919 eine von acht weiblichen Abgeordneten des Bayerischen Landtags. Sie behält das Mandat für die Bayerische Volkspartei bis zu ihrem Tod. Passend zu ihrem bisherigen Engagement setzt sie sich vorrangig für die Frauen- und Familienförderung, für die öffentliche Fürsorge und die Wohlfahrtspflege sowie für das Gesundheitswesen ein.

Mit der Gründung der „Vereinigung katholischer Diakoninnen“ (heute „Säkularinstitut Ancillae Sanctae Ecclesiae“ – „Dienerinnen der Heiligen Kirche“) ermöglicht Ellen Ammann zölibatär lebenden Frauen, mit Unterstützung des Münchner Erzbischofs, ein Leben im Dienst christlicher Wohltätigkeit zu führen.

Wehret den Anfängen. Noch an einer ganz anderen Front hatte Ellen Ammann zu kämpfen: Sehr früh ist sie sich der drohenden Gefahr durch die Nationalsozialisten bewusst. Zusammen mit anderen Frauenrechtlerinnen versucht sie, allerdings leider vergeblich, Adolf Hitler aus Bayern als „kriminellen Ausländer“ ausweisen zu lassen.

Zugleich reift in ihr ein zukunftsträchtiger Gedanke: sie erkennt, wie wichtig unter den gegebenen politischen Verhältnissen eine fundierte religiös-moralische Orientierung für die Einsatzkräfte der Polizei ist. So wird Ellen Ammann zur Initiatorin der Bayerischen Polizeiseelsorge.

In Münchens Gesellschaft und Politik inzwischen hervorragend vernetzt, erfährt Ellen Ammann vorab vom Hitler-Putschversuch am 9. November 1923. Zu dessen Niederschlagung trägt sie maßgeblich bei. Während einer Feierstunde zu Ehren der streitbaren Kämpferin anlässlich ihres 150. Geburtstages im Juli 2020 macht der zu diesem Zeitpunkt amtierende bayerische Kultusminister Franz Matt deutlich: „Die Kollegin Ammann hatte damals mehr Mut bewiesen als manche Herren in Männerhosen.“

Die Machtergreifung der Nationalsozialisten zehn Jahre später, Januar 1933, erlebt Ellen Ammann allerdings nicht mehr. Nach einer Rede im Bayerischen Landtag bricht sie zusammen und stirbt am Tag darauf am 23. November 1932 mit 62 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Bald nach ihrem Tod wird über sie die Herausgabe einer Lebensbiographie vorbereitet. Die Nationalsozialisten tun jedoch alles, damit diese nicht veröffentlicht wird.

Inzwischen wird viel unternommen, um das das Lebenswerk dieser starken Frau zu würdigen. Ellen Ammann besaß ein feines Gespür dafür, was gerade zu tun war. Sie erkannte die Zeichen der Zeit und fand Wege, zielstrebig zu handeln. Viele lassen sich noch heute von ihren religiösen wertorientierten Vorstellungen inspirieren. Wünschenswert ist es, wenn möglichst zeitnah der Tag ihrer Seligsprechung begangen und gefeiert werden kann. Ihr Name möge für immer im Buch des Lebens vermerkt sein.

Foto: KDFB Landesverband Bayern

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