Predigtthema: … erwarten wir getrost, was kommen mag!
Bibelstelle: Lk 12,32-48
Datum: 10. August 2025
Kirche: Abteikirche Heilig Kreuz, Herstelle
Liebe Schwestern und Brüder!
Warten gehört zum Leben. Das Leben ist in Entwicklung, ist im Fluss, ist im Werden! Jedoch worauf warten wir? Mit dem Warten gehen Menschen sehr unterschiedlich um. Es gibt Leute, die haben Zeit und gehen dennoch bei Rot über die Ampel. Dann gibt es Leute, die können besser warten, wenn ihnen gesagt wird, wie lange sie noch zu warten hätten.
Warten – Erwarten, beides liegt inhaltlich eng zusammen. Dennoch ist Erwarten mehr ausgerichtet auf Erfüllung. Man setzt darauf, dass das, worauf man wartet, wichtiger, wertvoller, erfüllender ist als das Gegenwärtige. Der Apostel Paulus bringt es im Römerbrief auf den Punkt: „Die ganze Schöpfung wartet sehnsüchtig auf das Offenbarwerden der Herrlichkeit Gottes“ (8,19).
Die erste Generation der Christen lebte tatsächlich in der Erwartung, dass die Wiederkunft Jesu Christi noch zu ihren Lebzeiten erfolgt und sich Jesu Schriftwort zeitnah erfüllt: „Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,3). Diese Erwartung ging in die Christentumsgeschichte ein mit dem Stichwort ‚Naherwartung‘.
Da diese nicht einsetzte, sprach man von einer Verzögerung. Eine Begründung dafür ist nachzulesen im 2. Petrusbrief (3,4-9): „Bei Gott gilt ein anderes Zeitmaß als bei Menschen. Ein Tag ist für ihn wie tausend Jahre, und tausend Jahre sind ein Tag. Der Herr erfüllt seine Zusagen nicht zögernd, wie manche meinen; im Gegenteil, er hat Geduld mit euch, weil er nicht will, dass einige zugrunde gehen.“
Auch heute gibt es Menschen, die nicht einfach so in den Tag hinleben wollen, sondern sich Gedanken machen, wie sie ihr Leben gestalten, damit sie zumindest mit ihrem eigenen Gewissen in Einklang leben. In meiner Seelsorge erlebe ich Menschen, für die ein bemerkenswerter Satz von großer Bedeutung ist, der auch schon mal in Talkshows eingestreut wird: „Lebe jeden Tag so, als sei er dein letzter.“
Dieser Satz sitzt. Man könnte meinen, er stände in der Bibel, aber weit gefehlt. Zumindest aber reicht heran an das biblische Wort Jesu: „Haltet auch ihr euch bereit. Der Menschensohn kommt zu einer Stunde, in der ihr es nicht erwartet“ (Lk 12,40).
In seinem Glauben an jene Erwartung, dass etwas ganz Neues bevorsteht, wurde vor 80 Jahren im April 1945 im KZ-Flossenbürg ein bekannter Christ hingerichtet: Dietrich Bonhoeffer. Wenige Monate vor seinem Tod, in der Adventszeit, dichtete der ev. Theologe im Gestapo-Gefängnis jene Verse, die von ihrer geistlichen Kraft bis heute nichts verloren haben: „Von guten Mächten treu und still umgeben, erwarten wir getrost, was kommen mag“. Mit seinem beharrlichen Ausdruck an Zuversicht und Gottvertrauen gehört dieses Lied zu den beliebtesten Kirchenliedern überhaupt.
Bonhoeffer hatte jederzeit mit seiner Hinrichtung zu rechnen. In einem seiner letzten Briefe, gerichtet an seine Verlobte, schreibt der Theologe: „Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich in keinem Augenblick allein und verlassen gefühlt.“
Auffällig ist: Bonhoeffer spricht von „guten Mächten“, also im Plural, in der Mehrzahl. Er meint damit natürlich zunächst den Gott des Lebens, den Gott der Schöpfung, den Gott der Erlösung, der in seinem Sohn Jesus Christus für uns alle zum Bruder geworden ist. Bonhoeffer meint aber auch jene, die ihm nahestehen, seine Eltern, seine Familienangehörigen, seine Verlobte, seine Freunde, seine Kollegen sowie alle, die ihn mit der Bitte an den barmherzigen Gott ins Gebet einschließen.
Auch Ordensgemeinschaften wären hier zu nennen. Gestern, 09. August, war Festtag der hl. Edith Stein. Als Sr. Theresia Benedikta vom hl. Kreuz gehörte sie zu den Kölner Karmeliterinnen. In ihrem Testament hebt die Heilige hervor, wie wichtig ihr dieser Konvent sei und sie sich darin bestens aufgehoben fühlte. Der Zusammenhalt der Schwestern war für sie wie eine wohltuende geistliche Macht, die ihrem beschwerlichen Lebensweg wichtige Stütze und Halt gab.
Von unsichtbaren und sichtbaren Mächten ist auch in der Liturgie die Rede, wenn es während des bekannten Schuldbekenntnisses heißt: „Darum bitte ich die selige Jungfrau Maria, alle Engel und Heiligen, und euch Brüder und Schwestern, für mich zu beten bei Gott unserem Herrn.“
Die jenseitigen und die diesseitigen gehören zusammen wie in einer Großfamilie. „Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn“, heißt es schon im Römerbrief (6,11). Das Leben der unsichtbaren Welt berührt die sichtbare Welt und umgekehrt. Alle guten Mächte stehen in einer engen Beziehung zueinander, wobei der sichtbaren Welt die Bestimmung des Wartens, des Erwartens zukommt. Denn wir alle erwarten von Gott noch eine ganze Menge, was noch bedeutsamer, noch beseligender, noch erfüllender ist als das Gegenwärtige.
Wer das im Glauben annimmt, weiß sich bei den guten Mächten bestens aufgehoben, gerade auch in den Augenblicken des Unbehagens, der Beklommenheit, ja der Angst. Jesus weiß darum, daher auch seine verheißungsvollen Worte, die uns inneren Frieden schenken: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn euer Vater hat beschlossen, euch das Reich zu geben“ (Lk 12,32)!