Hl. Angela Merici (1474-1540): Eine Frau, die Schule macht
Als Angela Merici am 27. Januar 1540 in ihrem kleinen Zimmer neben der Kirche St. Afra in Brescia stirbt, hält der Stadtschreiber fest: „Es war ein stiller Heimgang. Anschließend jedoch wurde sie mit so großer Feierlichkeit inmitten einer riesigen Menschenmenge überführt, so dass der Trauerzug wie das Begräbnis eines Fürsten wirkte. Grund dafür: Mutter Angela predigte weit und breit den Glauben an den allmächtigen Gott und wurde von allen geliebt.“
Diese große Frau der Kirchengeschichte hinterlässt ein beträchtliches Lebenswerk, welches hineinreicht bis in unsere Gegenwart. Da sie ihr Wirken dem Patrozinium der hl. Ursula (Gedenktag: 21. Oktober) unterstellt, entstehen in der Folgezeit mit den Ursulinen viele Ordensgemeinschaften und Bildungseinrichtungen, die neben dem Namen der hl. Angela auch den Namen der hl. Ursula tragen.
Angelas Geburtsort liegt am Gardasee. Vor 550 Jahren, am 21. März 1474 kommt sie in Desenzano del Garda als Tochter einer angesehenen Landwirtsfamilie zur Welt und wächst mit drei oder vier Geschwistern, darunter einer älteren Schwester, im Bauernhaus auf. Ländliches Leben verbunden mit natürlicher Frömmigkeit prägen ihre Kindheit. Obwohl Angela nie richtig zur Schule geht, gilt sie im Bewusstsein der Leute dennoch als gebildet.
Als Angela etwa 10 Jahre alt ist, stirbt ihre ältere Schwester. Der Verlust ist groß, da sie zu ihr viel Vertrauen empfindet. Bald darauf stirbt auch der Vater. Als dann auch noch die Mutter stirbt, nimmt die Familie eines Onkels mütterlicherseits ihren jüngeren Bruder sowie Angela auf. Hier lernen beide das üppige Leben wohlhabender Leute kennen. Hingezogen zu diesem Lebensstil fühlt sich Angela allerdings nicht, im Gegenteil, sie wählt das einfache, religiös geprägte Leben und wird Mitglied im Dritten Orden des hl. Franziskus. So wird sie hineingenommen in die große franziskanische Familie, ohne jedoch als Klosterfrau zu leben.
Mit etwa zwanzig Jahren kehrt Angela zum ererbten Bauernhof am Gardasee zurück, und führt dort ein anspruchsloses Leben, ausgefüllt mit Arbeit und Gebet. Überliefert wird in ihrer Lebensbiographie, wie sie während dieser Zeit eine innere Schau erfährt. Auf dem Feld sieht sie ihre geliebte Schwester inmitten einer Schar von Engeln aus dem Himmel herabsteigen. Die himmlische Prozession bleibt vor ihr stehen. Die Schwester spricht mit ihr und sagt, Gott wolle mit Angelas Hilfe eine Gemeinschaft geweihter junger Frauen gründen.
Um Trost zu spenden, reist Angela auf Wunsch der franziskanischen Familie im Jahr 1516 nach Brescia. Denn eine Frau der franziskanischen Familie verlor gerade ihren Ehmann sowie drei erwachsene Kinder. Die inzwischen fast 40-jährige Angela trifft dort auch andere Personen, sie gehören zur „Divino-Amore-Bruderschaft“ – „Gemeinschaft Göttlicher Liebe“. Diese Bewegung versteht sich als reformfreudig, was den religiös-kirchlichen Vorstellungen Angelas entgegenkommt. Denn europaweit sind die Strukturen der Kirche weitgehend gelähmt. Bekanntermaßen kommt es ein Jahr später durch Martin Luther in Wittenberg zur Reformation. Das Gefüge der Kirche verändert sich radikal.
In kurzer Zeit sammelt Angela eine Gruppe reformfreudiger junger Frauen und Männer um sich. Geistiger und geistlicher Mittelpunkt dieser Bewegung: Angela Merici.
Aus ihrem geistlichen Freundeskreis nimmt sie das Angebot an, in Brescia ein Zimmer zu beziehen. Hier kann sie ihr einfaches Leben weiterführen. Ein Zeitgenosse schreibt, dass „sehr viele Menschen sich bei Angela Rat holten – jeder in seinen besonderen Nöten – und dass sie wirklich in der Lage war, in jeder Notsituation zu helfen. Sie beriet alle mit solch einer Liebenswürdigkeit, dass ihr Zimmer nie leer wurde.“
Angelas Erbschaft sowie ihre sparsame Lebensführung ermöglichen es, 1524 zu einer Wallfahrt ins Heilige Land aufzubrechen. Geheimnisvoll bleibt ihre Erblindung während der Dauer dieser Reise, unerklärlich bleibt auch, wie am Ende dieser Reise Angela ihre Sehfähigkeit wiedererlangt.
Angela fühlt sich jedenfalls ermutigt, im Heiligen Jahr 1525 nach Rom aufzubrechen. Vom Gardasee liegt die Ewige Stadt vergleichsweise nah, Entfernung etwa 550 km. Während einer Papstaudienz begegnet Angela Papst Clemens VII. Offenbar hat sich das Mitglied der franziskanischen Familie auch in Rom einen Namen verschaffen können. Im Gespräch bietet ihr der Papst an, in caritativen Einrichtungen Roms mitzuwirken. Sie könne so in Rom wohnhaft bleiben. Doch Angela lehnt ab und kehrt nach Brescia zurück.
Nach bedrohlichen Ereignissen durch Kaiser Karls V. kriegerischer Armee, verbunden mit längerem Aufenthalt im Zufluchtsort Cremona, lebt Angela ab dem Jahr 1530 wieder in Brescia. Ab dieser Zeit nehmen jedoch ihre körperlichen Kräfte mehr und mehr ab, ihre geistige Frische bleibt jedoch erhalten.
1532 bezieht Angela einen kleinen Raum an der Kirche St. Afra in Brescia. Inzwischen sammelt sie um sich eine Gruppe von jungen Frauen und Witwen. Ihre Zeit verwendete sie nun intensiv auf die Formung einer neu entstehenden Gemeinschaft. In einem Gebetsraum im Hause einer bekannten Witwe versammelt sich die Gruppe regelmäßig zu Gebet und religiöser Unterweisung.
Angela will nun einer ganz neuen Lebensform Gestalt geben. Im November 1535 kommt es zur offiziellen Gründung dieser Gemeinschaft. Die Zeremonie ist schlicht, aber ebenso ergreifend und feierlich. Angela ist bewegt, als 28 Gefährtinnen sich zu dieser Feier versammeln. Nach gemeinsamer Eucharistiefeier schreibt jede von ihnen ihren Namen in das Buch der Gemeinschaft und verspricht feierlich die Treue. Von nun an nennen sie sich „Compagnia di Sant’ Orsola“ – „Gemeinschaft der heiligen Ursula“. Unmittelbar danach wird diese Gemeinschaft durch Papst Paul III. offiziell anerkannt.
Auch wenn sich die Ursulinen später, was sicherlich nicht im Sinne ihrer Gründerin geschieht, zu einem klausurorientierten Orden wandeln, ist die „Compagnia di Sant’ Orsola“ das erste Säkularinstitut der Kirche überhaupt. Säkularinstitut bedeutet: die Mitglieder verbleiben auch weiterhin in ihren bisherigen Lebensbeziehungen; sie wohnen daheim oder an ihrem Arbeitsplatz; sie leben nach einer eigens für diese Gemeinschaft verfassten Regel; die Leitung obliegt allein den Frauen; Ziel der Gemeinschaft ist die Stärkung der weiblichen Mitglieder auf ihrem Weg eines ehelosen Lebens in gegenseitiger Unterstützung und Absicherung; die „Gemeinschaft der Ursulinen“ trägt keine Ordenstracht und sucht danach, nach dem Evangelium Jesu zu leben.
So eine Art von geistlicher Gemeinschaft gab es vorher in der Kirche noch nie. Angelas Gemeinschaft unterscheidet sich daher von allen bisherigen Gründungen. 1537 wird Angela Merici die erste Oberin. Vor allem in den Orten Norditaliens breitet sich diese neue Gemeinschaft schnell aus.
Nach Angelas Tod am 27. Januar 1540 wandelte sich der Orden zu einer Klostergemeinschaft mit den Schwerpunkten Erziehung und Unterricht. Die Schulen der Ursulinen haben bis heute eine große Bedeutung für Erziehung sowie schulische Bildung junger Menschen, besonders der Mädchen. Von Italien über Frankreich und Deutschland breitet sich der Orden schließlich weltweit aus. Jahrhunderte lang schreiben die Ursulinen Schulgeschichte.
In heutiger Zeit besinnen sich die Ursulinen mehr und mehr auf ihre Anfänge. Angela war ursprünglich nicht Lehrerin, sondern vielmehr Seelsorgerin. Sie sieht die Nöte der Menschen, besonders die der Frauen und handelt dementsprechend mutig. So ist es nachvollziehbar, wenn Ursulinen sich in der Gegenwart bewusst auf seelsorgliche Aufgaben konzentrieren, um Menschen in ihrem Kummer und in ihren Sorgen nahe zu sein. Um die Ordensgemeinschaft herum zieht Angelas Erbe also neue Kreise. Ihr Vorbild ermutigt Menschen, selber zum Licht (vgl. Mt 5,14) zu werden, damit es im Leben anderer heller wird.
In ihren „Ricordi“ – „Erinnerungen“ ermutigt Angela ihre Mitschwestern: „Verliert nicht den Mut, habt Zuversicht und festes Vertrauen auf Gott. Er wird alles zum Lob und Ruhm seiner Herrlichkeit und zum Heil der Seelen lenken.