Jesus – die personifizierte Weisheit

Predigt: Lk 2,41-52 – Jesus – die personifizierte Weisheit
Heilige Familie – Lesejahr
gehalten: So., 29. Dez. 2024
Abtei Heilig Kreuz, Kloster Herstelle

Liebe Schwestern und Brüder!

„Kläglich dran ist jener Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft!“ Eine steile These! So etwas sagt niemand, der oder die die Schule oder Ausbildung mit Ach und Krach hinter sich gebracht hat. So etwas sagen nur Personen, die mit ihrem Intellekt über den Lerninhalten stehen und vermeintlich so auch über den Lehrkräften.

Sie werden fragen, von wem diese Behauptung kommt? Leonardo da Vinci! Diese steile Ansage trauen wir dem berühmteste italienischen Universalgelehrten (15./16. Jh.) einfach mal zu. Er wird gewusst haben, wovon er spricht. Tatsächlich hat Leonardo da Vinci seine Lehrmeister weit übertroffen.  „Kläglich dran ist jener Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft!“ Diese Worte fallen mir ein beim Betrachten des heutigen Evangeliums. Jesus als 12-Jähriger im Tempel in Jerusalem, mitten unter Lehrern. Der Tempel war sowohl Stätte des Gebetes als auch Bildungseinrichtung, also Schule. Die Schriftgelehrten, die Lehrer, sind älter als der Heranwachsende. Aber wollte Jesus, nachdem er sich von seinen Eltern löste, wirklich nichts anderes als bei den Schriftgelehrten in die Schule gehen? Dort im Tempel erleben die Anwesenden ihn nicht nur als Hörenden. Jesus stellt scharfsinnige Fragen, gibt kluge Antworten. „Alle waren erstaunt über sein Verständnis und über seine Antworten“ (Lk 2,47).

Wir trauen Jesus diese Fähigkeit einfach zu. Als Sohn Gottes kommt er aus eineranderen Welt. Er bringt nicht allein Intelligenz und Gelehrsamkeit mit. Ihm wird ein weiteres Charisma zugesprochen: die Weisheit. Er ist die personifizierte Weisheit: Sapientia. Sapientia meint, die Fülle aller Dinge und ihre Lebenszusammenhänge nicht allein zu durchschauen, sondern sie zu gestalten. Jesus überfordert mit seinen Beiträgen das Fassungsvermögen aller Zuhörenden.

Die Hl. Schrift spricht der Weisheit ein wichtiges Merkmal zu: die Ewigkeit. „Vor aller Zeit bin ich da und bis in Ewigkeit vergehe ich nicht“ (Sir 24,9), heißt es in der Weisheitsliteratur des Alten Testamentes. Diese Weisheit in Person weilt nun im Tempel mitten unter den jüdischen Schriftgelehrten. Spätestens ab diesem Ereignis bringt Jesus ein ganz wichtiges Phänomen in die
Christentumsgeschichte ein: die Bildung.

Glaube und Bildung gehören für das Christentum untrennbar zusammen. Es macht Sinn, Lernorte des Glaubens einzurichten. Jesus braucht solche Lernorte gewiss nicht, aber wir brauchen sie als Lernorte und das für alle Generationen.

Klöster wie hier in Herstelle unterbreiten solche Angebote. Ein Kloster ist Ort des Gebetes, ist aber auch ein Lernort des Betens. Und in einem Kloster wie hier können Antworten gesucht werden auf Fragen, die sich mit der sichtbaren und unsichtbaren Welt beschäftigen. Der Antwortgebende ist letztlich Jesus Christus selbst, der Lehrer des Lebens. Mit Hilfe der Hl. Schrift als Grundlage
gehen wir bei ihm in die Schule.

Kommen wir zurück zu Leonardo da Vinci. Der Universalgelehrte macht eine bittere Erfahrung: Die Realisierung seines weltberühmten Abendmahlgemäldes im Mailänder Dominikanerkloster stößt bei ihm auf Grenzen. Die Köpfe der Apostel stattet er mit handverlesenen Charakterköpfen aus. Soweit ist er zufrieden.

Mit dem Haupt und Antlitz Jesu jedoch kommt er nicht zurecht. Es wird nicht so, wie er sich das wünscht. Für ihn bleibt es unvollendet. Dem Antlitz der Ewigen Weisheit hätte der Künstler noch mehr Majestät, noch mehr Würde, noch mehr göttliche Würde geben wollen. Doch es überfordert ihn. Es sieht sich nicht imstande, wie er feststellen muss, mit irdischen Mitteln Überirdisches
wiederzugeben.

„Kläglich dran ist jener Schüler, der seinen Meister nicht übertrifft“. Diese Erfahrung musste nun auch Leonardo da Vinci machen. In Jesus hat Leonardo seinen überlegenen Meister gefunden. Leonardo musste ebenso kleinbeigeben wie die Gesetzeslehrer im Tempel von Jerusalem.

Jesus wäre nicht Jesus, wenn er nicht unserer Schwachheit aufhelfen wollte. In seinen weiteren Reden bestätigt Jesus die Notwendigkeit des Lernens. Dieses Lernen führt zu dem Ziel, dem Meister einmal auf Augenhöhe begegnen zu können. Jesus sagt: „Ein Jünger steht nicht über dem Meister; wenn der Jünger aber alles gelernt hat, wird er wie sein Meister sein“ (Lk 6,40).

Dieses Jesus-Wort ist natürlich nicht geschlechtsspezifisch zu verstehen, es gilt allen. Auf Augenhöhe mit unserem Herrn und Meister? Dieser Gedanke erscheint uns eigentlich unvorstellbar, aber wiederum unvorstellbar schön. Dieses Prädikat vergönnt uns die göttliche Weisheit. Wahrscheinlich werden wir ein Leben lang bei Jesus in die Schule zu gehen haben, bis wir das verinnerlichen.

Bild von Airgil Daviss from Pixabay

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