Wolfgang Guttmann, Pfarrer im Ruhestand, fängt da an, wo andere aufhören. Im wahrsten biblischen Sinne, und zwar auf seinem „Pilgerweg ins Leben“. Dieser Gang über den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg beginnt nämlich dort, wo der traditionelle Kreuzweg endet: bei der Auferstehung – mit dem Moment, in dem Petrus und Johannes entdecken, dass das Grab Jesu leer ist.
Mehr als 20 Pilger haben sich an diesem heißen Juni-Tag um 10 Uhr am Forum des weltgrößten Parkfriedhofs eingefunden. Auf seinen knapp vier Quadratkilometern gedeihen 450 Laub- und Nadelholzarten, die im Sommer viel Schatten spenden. Auch bei dieser ersten von insgesamt zehn Stationen. Einige Teilnehmer tragen kleine Rucksäcke oder Taschen, in denen sich ebenfalls Proviant für die auf sieben Stunden veranschlagte Tour befindet. Vor allem wurde an ausreichend Getränke gedacht, aber auch belegte Brote und gekochte Eier wurden eingesteckt. Guttmann hat außerdem faltbare kleine Hocker mitgebracht, so dass auch für Sitzgelegenheiten bei den Stationen gesorgt ist.
„Staub-Asche“ ist diese erste Betrachtung überschrieben. „Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück“. An diese Worte aus der Genesis knüpfen Guttmanns Worte an. Dazu wird der Druck eines Gemäldes von Eugène Burnand gezeigt, in dem der Schweizer die Apostel Petrus und Johannes dargestellt hat, wie sie zum Grab am Morgen der Auferstehung laufen.
Auch wegen der Hitze legen die Teilnehmer diesmal eine größere Strecke in Autos zurück als normalerweise. So kommen die Teilnehmer nicht ganz auf die fünf Kilometer, die sonst zu Fuß zurückgelegt werden. Außerdem können so mehr Orte besucht werden. Einen der Wagen steuert Holger Andresen vom Förderkreis Ohlsdorfer Friedhof e.V. mit dem Guttmann den Pilgerweg organisiert hat. Andresen kennt so gut wie jeden Grabstein und jeden der verschlungenen Wege des Friedhofs, sodass die nächsten Ziele schnell erreicht werden.
Grab mit Zigarettenkippen
Es sind Gräber prominenter Persönlichkeiten. Die Ruhestätten der Schauspieler Hans Albers und Jan Fedder zählen beispielsweise dazu. An der des Bundeskanzlers Helmut Schmidt und seiner Frau Loki sorgt eine Steinplatte, auf der neben Blumen auch Zigarettenkippen liegen, für Schmunzeln. HSV-Fahren schmücken das Grab des Fußballers Uwe Seeler. Ihrer wird mit jeweils drei Zitaten gedacht, die Guttmann auf kleinen Zetteln ausgedruckt hat.
Holger Andresen streut zudem Hintergrundinformationen ein, etwa dass das Grab Jan Fedders, ein Patenschaftsgrabmal ist. Jeder hat die Möglichkeit, auf dem Ohlsdorfer Friedhof solch ein kunsthistorisch wertvolles, altes Grabmal zu äußerst günstigen Konditionen von der Verwaltung zu erhalten. Damit verbunden ist die Auflage, für die Restaurierung des Steines aufzukommen, die Standsicherheit zu gewährleisten und die Pflege zu übernehmen. In diesem Fall wird so die 1899 geschaffene Statue von Xaver Arnold erhalten, die er für das Grab des Kaufmanns Heinrich E. Breuer schuf.
„Wenn ich Männer hasse, werde ich keine Hure“, wird die 2009 gestorbene Domenica Niehoff zitiert. Sie ist im „Garten der Frauen“ begraben, einem knapp 1700 Quadratmeter großen Areal, auf dem bedeutende, aber nicht unbedingt prominente Frauen begraben sind oder auf dem mit Grab- oder Gedenksteinen an sie erinnert wird. Wolfgang Guttmann, der auch die Geistliche Leitung im Diözesanverband Hamburg der katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) innehat, widmet die Betrachtung dort dem Thema „Letzter Wunsch“. Dabei bezieht er sich auf die Bibelstelle im Matthäus-Evangelium, die schildert, wie ein Engel den Frauen verkündet, dass Jesus auferstanden ist.
Zum Schluss zur Christusfigur
Nach einer Mittagspause werden unter anderem auch die Gräber katholischer Ordensfrauen aufgesucht, wo an die Begegnung Marias von Magdala mit dem Auferstandenen erinnert wird. Weitere Stationen sind beispielsweise die Gräberfelder mit den Opfern der Sturmflut von 1962 und der Bombenangriffe auf Hamburg von 1943. Später kommt man auch am gewaltigen, von Martin Haller, dem Architekten des Hamburger Rathauses, entworfenem Mausoleum von Wilhelm Anton Riedemann vorbei. Der „Petroleumkönig“ ließ unter anderem die katholische Kirche St. Sophien in Hamburg-Barmbek errichten. Gegen Ende des Pilgerwegs geht es wieder an Gräbern bedeutender Persönlichkeiten vorbei, etwa am Grab des Schriftstellers Wolfgang Borchert oder dem Philipp Otto Runges, eines herausragenden Malers der deutschen Romantik.
Den Schlusspunkt setzt ein Besuch der Christusfigur, die sich nahe des Ausgangsortes befindet. An dieser Station wird Bezug genommen auf die Bibelstelle im Johannes-Evangelium, die das Kommen des Auferstandenen schildert. Man spürt die Tour ein wenig in den Beinen, aber übermäßig erschöpft erscheint trotz der Hitze niemand. Guttmann und Andresen blicken in zufriedene, ja freudige Gesichter.
„Eine Führung, bei der man viel Verstecktes findet“, lobt Hermann Zerbe aus der Gemeinde St. Annen. „Leider gibt es wenig spirituelle Grabstätten“, fügt er hinzu. Josephine, die nur ihren Vornamen nennen will, aus der Gemeinde Heilige Familie freut sich, dass die Pilgertour „locker und entspannt und nicht so superreligiös“ ist.
Die nächste Pilgertour findet am Samstag, 23. August ab 10 Uhr statt. Anmeldungen bei Wolfgang Guttmann, E-Mail: w.guttmann@googlemail.com, Telefon: 0151/4052 2205.
Artikel und Fotos: Matthias Schatz