Predigt: Lk 1,39-45 – Schwangerschaft verändert!
4. Adventssonntag -Lesejahr C
gehalten: So., 22. Dez. 2024
Abtei Heilig Kreuz, Kloster Herstelle
Liebe Schwestern und Brüder!
Ein Kind erwarten. Eine Schwangerschaft trägt viel Adventliches in sich. Neues Leben wächst heran. Ankunft. Niederkunft. Was das für eine Frau bedeutet, Mütter wissen das!
Beide schwangeren Frauen, Elisabeth und Maria, glücklich über ihre Schwangerschaft, laden ein, Schwangerschaft einmal nicht unter Gesichtspunkten der Medizin zu betrachten. Allein beim vorangeschrittenen Alter Elisabeths, wie die hl. Schrift wiedergibt, würde die Medizin zweifelsohne von einer Risikoschwangerschaft sprechen. Ganz zu schweigen von Marias wundersamer Schwangerschaft. Sie erfolgt ohne Zutun eines Mannes.
Um es vorwegzunehmen: Dass es überhaupt Schwangerschaft gibt, entspringt nicht der Idee des Menschen. Gott selber kommt auf die geniale und liebende Idee, neues Leben langsam heranreifen zu lassen – in der Geborgenheit eines Schoßes der Mutter.
Mit den Schwestern zusammen singen wir im Chorgebet die bemerkenswerten Psalmenverse: „Du selbst, Gott, hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter. Als ich noch gestaltlos war, sahen mich deine Augen“ (139,13.16.) Wunderschöne Gedanken.
Denken wir mal an uns selbst. Wir alle wurden geformt im Schoß unserer Mutter. Ohne Ausnahme! Es gibt kein Leben ohne Mutter. Es bedeutet auch: Es gibt nicht nur ein Leben nach der Geburt, es gibt auch ein Leben davor.
Diese Feststellung ist noch längst nicht alles, der Psalmist setzt noch was drauf: „Als ich noch gestaltlos war, sahen mich bereits deine Augen“.
Der bekannte ev.-luth. Theologe und Kirchenlieddichter Paul Gerhardt (17. Jh.) kleidet diesen Gedanken in seine gereimten Worte in seinem schönen Weihnachtslied „Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, Du mein Leben“, eines der schönsten Weihnachtslieder überhaupt. In einer der nachfolgenden Strophen heißt es: „Eh ich durch deine Hand gemacht, da hast du schon bei dir bedacht, wie du mein wolltest werden.“
In der Sprache von heute bedeutet es: Bevor jede und jeder von uns im Schoß unserer Mutter durch Zutun unseres Vaters gezeugt wurden, waren wir in den Gedanken Gottes längst vorhanden, wir waren längst da, hatte Gott uns längst im Blick. Solche Einsicht lässt unser Gehirn ganz schön knistern. Diese Einsicht geht davon aus: Vor unserer materiellen und zeitlichen Existenz gab es ein Vorleben, ein Vorleben in den Sphären Gottes.
Und was für uns Menschen als Geschöpfe gilt, das gilt für den Sohn Gottes erst recht. Denn er ist nicht auszumachen als Geschöpf wie du und ich. Von ihm bekennen wir: „Aus dem Vater hervorgegangen vor aller Zeit, Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen eines Wesens mit dem Vater. Durch ihn ist alles geschaffen“, so sprechen wir im Glaubensbekenntnis.
Diesen Sohn des Vaters trägt Maria unter ihrem Herzen. Können Sie sich vorstellen, dass Christen über alle Generationen sich gefragt haben, wie das überhaupt geht? Und was macht das mit Maria in ihrer Schwangerschaft? Was macht das mit ihrer göttlichen Frucht? Schwangerschaft verändert!
Wir können da nur ins Staunen geraten! Tatsächlich unterzieht sich der Sohn Gottes im Schoß seiner Mutter Maria einer Wandlung. In Worte kann man das gar nicht fassen. Metaphern können helfen als Veranschaulichung.
Ganz großer Meister darin ist der hl. Ephräm. Dieser Theologe und Kirchenlehrer (4. Jh.) lebte in Syrien, in jener Region des Nahen Ostens, die seit Jahren krisengeschüttelt ist. Ephräm der Syrer, wie er genannt wird, schuf viele poesievolle, geistliche Hymnen. Liebevoll würdigend nannte man ihn bereits zu seinen Lebzeiten die „Harfe des Heiligen Geistes“.
In einem Hymnus wendet sich Ephräm an Jesus, den Sohn Gottes, und staunt: „Niemand weiß, wie er nennen soll Deine Mutter, o Herr! Nennt er sie Jungfrau, ihr Kind steht dagegen; nennt er sie Vermählte, keiner hat sie erkannt. Wenn nun schon Deine Mutter unbegreiflich ist, wer soll dann Dich fassen?“
Ephräm kommt aus dem Staunen nicht heraus. Weiter stellt er im Hymnus fest: „Die Ordnungen verkehrte der Schoß Deiner Mutter. Der Schöpfer des Weltalls trat ein als Reicher und kam hervor als Bettler. Der Allmächtige trat ein und kam hervor als Niedriger. Der Hirte aller trat ein, und er wurde in ihr zum Lamm.“ Was für Gegensätze!
Die schwangere Elisabeth begreift diesen außergewöhnlichen, ja heiligen Augenblick der Begegnung. Während in ihr sich das heranreifende Leben, Johannes, später der Täufer genannt, der Prophet, der Vorläufer Jesu, bemerkbar macht, gerät Elisabeth ins Staunen: „Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?“
Diese Frage und dieser Ausruf der Bescheidenheit „Wer bin ich?“ könnte jeder von uns als adventliche Anfrage an sich selbst übernehmen: „Wer bin ich?“, dass Du Gott zu mir kommst in seiner Menschwerdung? „Wer bin ich?“, dass Du, Jesus, mein werden willst? „Wer bin ich?“, dass Du, Christus, zu mir kommst in Deinem lebendigen Wort, welches aufrichtet, tröstet, neues Leben verheißt? „Wer bin ich?“, dass Du, Herr, zu mir kommst in der hl. Eucharistie? Ja, Du bist gegenwärtig in diesem kleinen Stück Brot!
Ja, wir können auf die großen Dinge des Lebens schauen. Aber lassen wir dabei nicht außer Acht das minimalkleine, das sich entfaltende Leben: Gott ist gegenwärtig, gerade auch in den kleinsten Dingen! „Deus in Minimis Maximus!“ – „Gott ist in den kleinsten Dingen der Größte!“